Bettina Bohle ist Lehrbeauftragte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt und der Stiftung Universität Hildesheim, Kulturmanagerin und seit kurzem Leiterin des Jazzinstituts Darmstadt. Sie ist verantwortlich für die Organisation bedeutender Formate wie des Darmstädter Jazzforums und engagiert sich sowohl künstlerisch als auch in der Archivarbeit für den Jazz. Dieses Jahr wurde das 19. Darmstädter Jazzforum von sieben Teilnehmer*innen an dem Journalist*innen-Camp unter der Leitung von Sophie Emilie Beha – Journalist*in und Kurator*in – inhaltlich begleitet. Direkt nach dem letzten Programmteil mit dem Leitthema „Universal Consciousness“ habe ich als eine der Teilnehmer*innen im Namen des Melodita-Teams mit ihr über das Festival, ihre neuen Aufgaben und Projekte gesprochen.
Alles ist nun vorbei – wie fühlst du dich aus deiner Perspektive als Musikerin, Organisatorin und Mensch?
Also, tatsächlich bin ich erst einmal ein bisschen erschöpft und merke, wie die Spannung nachlässt. Wir haben das Ganze total lange geplant – fast zwei Jahre in der Mache. Es gab eine sehr lange Phase der Themenfindung, weil es darum geht, was für die Jazzszene wichtig ist, aber auch, wo Jazz, Gesellschaft und andere Themen sich überschneiden. Es geht nicht darum, dass wir uns in unserer Jazz-Blase abkapseln, sondern welche Themen aktuell in der Luft liegen und die Leute beschäftigen. Deshalb dauert es sehr lange, ein passendes Thema zu finden. Für mich war es auch aufregend, weil es mein erstes Jazzforum war. Viele kannten die früheren Jazzforen, haben dort immer den ehemaligen Direktor Wolfram Knauer erlebt. Deshalb war es krass, jetzt zu sehen, wie alles zusammenkommt, weil es erst in unserem Kopf war, dann auf Papier, und plötzlich waren Menschen da, die mitgestalten und diese genaue Vorstellung verwirklichen wollten, die wir hatten. Das war mega cool! Deshalb bin ich vor allem dankbar, dass das überhaupt geklappt hat und dass die Leute mitwirken wollten und konnten. Es hat funktioniert, was wir uns vorgestellt haben, und gleichzeitig gab es noch so viel mehr, weil es nicht darum ging, alte Sicherheiten zu bestätigen, sondern viele Leute zusammenzubringen und gemeinsam weiterzudenken.
Was bedeutet „Universal Consciousness“ für dich persönlich?
Ich habe keinen tief persönlichen Bezug zum Slogan „Universal Consciousness“. Es war eher ein Versuch. Wir haben mit dem Begriff „Spiritualität“ angefangen, weil das in der Geschichte des Jazz wichtig ist und weil wir gemerkt haben, dass es um Innerlichkeit geht – wie Menschen sich selbst sehen und dann die Welt wahrnehmen. Ich selbst bin keine religiöse Person, eher Atheistin, deshalb ist das nicht mein direkter Bezug. Aber ich habe Philosophie studiert und finde Sinnfragen sehr wichtig. Ich nehme es ernst, wenn jemand sagt, er sei gläubig. Deswegen suchte ich einen Begriff, der als Dach verschiedene spirituelle Konzepte umfasst, wie Weltbezug oder Sinnfragen. Dann bin ich auf das Album von Alice Coltrane gestoßen. Das hat mich sofort angesprochen, weil es für mich eine schöne Balance war: Es wird nicht zu religiös und schreckt nicht ab. Es soll Raum öffnen und niemanden wegschieben – ich wollte nicht esoterisch wirken. Es war also ein Versuch, Leute einzuladen, auf bestimmte Weise über Spiritualität nachzudenken. Letztlich ist es mir wichtig, dass das Jazzforum verständlich bleibt, und darüber habe ich lange nachgedacht.
Das Forum lebt von der Mischung aus Vorträgen, Gesprächen und Konzerten. Was waren deine Highlights und worüber bist du zufrieden oder überrascht?
Ich finde die Vielstimmigkeit der Formate super, weil das verschiedene Zugänge zum Thema bietet – nicht nur wissenschaftlich, nicht nur musikalisch. Ich glaube, das funktioniert richtig gut. Zum Abschluss haben wir den Film „Sun Ra: A Joyful Noise“ im Kino gesehen, der nochmal viele Gedanken aufgeworfen hat und eine andere Herangehensweise an das Thema bietet.
Ich versuche, mich auf alles einzulassen, bin aber die ganze Zeit im Orga-Modus, da fehlt manchmal das „richtig Einlassen“. Mir hat vor allem das Reflexionsformat gefallen – das war mir wichtig. Ich habe jetzt viele Ideen, wie man das noch besser machen kann, z. B. bei der Einleitung oder der Atmosphäre. Es ist schön, dass viele Leute mitgemacht haben und daraus coole Gespräche entstanden sind. Das war genau so, wie ich es mir gewünscht habe: ein bisschen meta, also nicht nur konkrete Fragen zu einem Thema, sondern gemeinsam über das ganze Tagungsthema nachzudenken und weiterzudenken.
Welche Perspektiven hast du in deiner neuen Position als Leiterin des Jazzinstituts? Was möchtest du anders machen, wo setzt du auf Kontinuität?
Ich habe vorher oft an ganz neuen Projekten gearbeitet, die erst aufgebaut werden mussten – zum Beispiel den ersten Jazz-Preis, die Geschäftsstelle der IG Jazz Berlin und so weiter. Aber ich wollte jetzt auch in ein Projekt einsteigen, das schon existiert und in dem viel aufgebaut ist. So kann man auf einem höheren Level ansetzen und weitermachen. Das ist spannend, weil man zwar viel Freiraum hat, aber die Grundstruktur schon steht. Ich finde es total wichtig, das Bestehende weiterzuführen, weil hier schon viel Gutes entstanden ist. Das Jazzforum gibt es seit 1989 und es ist eine tolle Plattform, auf der man wirklich viel gestalten kann. Das Format verändert sich sowieso immer, je nach Thema. Hier sehe ich keine Notwendigkeit, etwas grundlegend zu ändern. Auch Regionalformate wie Impro-Workshops oder die Jazz-Conceptions laufen jährlich weiter.
Wo ich weiterdenken will, ist bei der Archivarbeit. Nicht, weil die bisher schlecht ist, sondern, weil sich die Zeiten geändert haben. Erstens findet viel Diskurs heute im digitalen Raum statt, der auch archiviert werden muss. Plattformen wie Facebook, Instagram oder TikTok werden kaum dokumentiert, obwohl dort viel passiert. Gleichzeitig bieten Digitalisierung und Künstliche Intelligenz neue Möglichkeiten, die Archivarbeit zu erleichtern. Unser Archiv ist noch vor Ort, die Zugänge sind ein bisschen schwierig – da frage ich mich, wie wir das besser nutzen können. Ich möchte es auch öffnen und habe mir gerade erst genauer angeschaut, wie Archivarbeit funktioniert. Für mich sind die Archive die Urdokumente des Jazz – für die Geschichte und für die Zukunft. Da sehe ich großes Potenzial, Menschen dafür zu begeistern.
Auf welche Projekte oder Pläne freust du dich besonders?
Ich entwickle gerade ein Format, bei dem Künstler:innen für eine Residenz zu uns kommen – das hat auch mit dem Archiv zu tun. Idealerweise wohnen sie bei uns unter dem Dach des Jazzinstituts, damit sie die besondere Atmosphäre genießen können, ähnlich wie beim Journalist:innen-Camp. Ich finde das total anregend, denn wir haben viele Wissenschaftler:innen, die mit Archivmaterialien forschen, aber der künstlerische Zugang dazu ist etwas anderes und das ist für mich total spannend. Musiker:innen kennen oft viel Jazz-Geschichte, weil sie sich ganz anders damit beschäftigen. Für das Publikum ist das dann auch interessant. Im November starten wir mit einer Pilot-Residenz mit Almut Schlichting, einer Bariton-Saxophonistin aus Berlin, die sich mit Jürgen Buchner auseinandersetzt – einem wichtigen Darmstädter Bassisten. Das Projekt soll eine Brücke zwischen Kunst und Archiv schlagen. Ich plane, das in den nächsten zwei Jahren zu beantragen, und freue mich darauf!
Fotos: Tsvetelina Topalova
Autorin: Tsvetelina Topalova (m)





