Beim 5. Women Of The World Festival – neuerdings „W-Festival“ – hatten die Veranstalter ein dichtes Programm auf sieben Bühnen zusammengestellt: 22 Musikerinnen aus 12 Ländern, von Rock und Rockabilly über Fado und Flamenco zu Electropop und Singer-/Songwriter. Eine der Besonderheiten (neben der Tatsache, dass nur Künstlerinnen mit ihren Bands eingeladen wurden): zum großen Teil präsentierte das Festival wie bereits im letzten Jahr Doppelkonzerte, sodass sich Fans gleich zwei „vollwertige“ Konzerte anschauen konnten. Nun ist das so eine Sache mit den Doppelkonzerten, wenn eine der Künstlerinnen absagt. So geschehen beim Konzert von Ana Moura, die am 24.05.2016 eigentlich im Doppel mit Buika auftreten wollte, aber kurz vorher absagen musste. Der Abend stand also unter keinem guten Stern – und wurde doch großartig.
Buika wurde 1972 auf Mallorca geboren, ihre Eltern waren politische Flüchtlinge aus Guinea. Damals waren sie die einzige schwarze Familie auf Mallorca, sie wuchs mit sechs Geschwistern in einem Armenviertel in der Nachbarschaft von Gitanos auf. Von ihnen lernte sie, saugte Klänge auf, vor allem Flamenco. „Ich bin eine große Schwindlerin. Habe keine Ahnung von Flamenco, Rock oder Pop. Ich bin einfach Tochter von Immigranten, die gelernt hat, zu überleben“, sagte die Sängerin unlängst in einem Interview mit der ARD. Mit 12 schmiss sie die Schule, interessierte sich nur noch für Musik – wie ihre Mutter, die es liebte, Rock-, Heavy Metal- und Klassikplatten zu hören und dazu „afrikanisch“ zu tanzen.
Ihr Weg zur Musik brachte sie zuerst in die Bars und Clubs und zur House-Musik, bevor sie bei einem kurzen Abstecher nach Los Angeles in den berühmten Blue Note Club eingeladen wurde. Von da an widmete sie sich dem Jazz und der spanischen Folklore, mischte ihren Flamenco aber mit Soul, Pop und afrikanischen Rhythmen und machte daraus ihr ganz eigenes Ding. 2010 bekam sie dafür ihren ersten Grammy.
Beim Festival würde sie ihr neustes Album „Vivir Sin Miedo“ – Leben ohne Angst – (VÖ: 22.01.16) vorstellen, einen genialen Mix aus Reggae, Ragga, R&B, Flamenco und Afrobeat, und erstmals selbst geschrieben. „Wir leben in Zeiten großer sozialer Umbrüche, das schürt Ängste. Aber die Angst vor anderen ist immer auch die Angst vor dir selbst. „Leben ohne Angst“, das ist für mich ein großer Satz, den will ich mir immer wieder sagen, so wie ein Mantra,“ so die Künstlerin.
Die zweite Künstlerin, die an diesem Abend auftreten sollte, war Ana Moura. Ich wusste nur, dass sie zu einer der führenden Fadistas Portugals gezählt wurde und ihre Platten bereits mehrfach Platinstatus bekommen hatten. Leider wurde die Absage von Ana Moura erst sehr spät kommuniziert und viele Fans kamen wahrscheinlich gänzlich unvorbereitet in das Konzert und mussten sich ad hoc entscheiden, ob sie dennoch hineingehen oder ihre Karten zurückgeben. Als „Ersatz“ wurde ein Trio aus Berlin angekündigt und Buika würde anstatt 60 ein längeres Set von 90 Minuten spielen. Für mich war das kein Problem, da ich ohnhin wegen letzterer hingehen wollte, aber für Moura-Fans war es bestimmt eine große Enttäuschung.
Schwamm drüber. Nun also begann das Konzert im leider nicht so gut gefüllten Konzertsaal mit der Begrüßung der beiden Veranstalter, dass es an der Zeit sei, Frauen in den „Control Room“ zu lassen, damit die Welt besser werde. Hm. Das kam jetzt nicht so authentisch rüber und wirkte etwas merkwürdig. Schließlich betrat das Trio Fado die Bühne, ein Berliner Ensemble, das zuerst als Quartett auftrat und sich im Lauf des Konzerts zwischenzeitlich zum rein männlich besetzten Trio verkleinerte. Anders als vermutet, gehört die Sängerin Maria Carvalho aus Porto neben dem Lissabonner António de Brito (Vocals, Gitarre) und dem teilweise in Portugal aufgewachsenen Österreicher Daniel Pircher (Portugiesische Gitarre) zu den Gründungsmitgliedern der Gruppe; der Cellist Benjamin Walbrodt ergänzt seit 2005 das „Trio“. Der Auftritt der Vier war sehr gelungen und eine schöne Einstimmung. Die vier interpretierten Fados und portugiesische Volkslieder, spielten aber auch eigene Kompositionen. Der Kontrast zwischen Carvalho’s klarer, schöner Stimme und der rauchigen Stimme von de Brito, die warme Klangfarbe der Akustikgitarre im Zusammenspiel mit den hohen Tönen der portugiesischen Gitarre, die melancholische Stimmung des Cellos – all das machte die 30 Minuten Auftritt zu einem Erlebnis. Ein Höhepunkt war ein portugiesisches Volkslied, bei dem Daniel Pircher mit schier magischem Oberton-Gesang verzauberte.
Nach einer Umbaupause betraten die sechs Begleitmusiker von Buika die Bühne. Die 43jährige Musikerin hatte in einem Interview zuvor über ihre Musiker gesagt: „Meine Musiker haben mich gefunden. Es sind Jäger wie ich, die immer die Wahrheit suchen. Mit jeder Note dabei das Leben aufsaugen. Ich arbeite mit verrückten Musikern zusammen – und verrückt sein ist schön.“ Die Musiker an E-Gitarre, Schlagzeug, Bass, Posaune, Cajon und Keys begannen ohne sie. Die ersten Takte erklangen, ohne, dass ich erkannt hätte, um welchen Song es sich handelt. Dann kam Buika im roten, enganliegenden Glitzerkleid barfuß auf die Bühne. Buika stieg ein und improvisierte. Nach einigen Takten entwickelte sich das Stück zum Opener und Titelstück der neuen CD. Gleich zu Beginn wurde deutlich, dass sie eine herausragende Musikerin ist, ganz in der Musik aufgeht und scheinbar alles um sich herum vergisst, wenn sie auf der Bühne steht. Der Techniker muss ziemliche Mühen mit ihrer Stimme gehabt haben, denn Buika singt und schreit, was das Zeug hält; vom ersten Stück an gibt sie einfach alles und verausgabt sich völlig! Sehr gut vorstellbar, wie ihre grandiose Stimme in einer spanischen Kneipe – unverstärkt – klingt und permanente Gänsehaut verursacht. In der Alten Oper wirkt dies schon auch, aber die Akustik ist wohl eher für andere Musik ausgelegt.
Von Stück zu Stück steigt die Verwunderung und meine Begeisterung: Noch nie habe ich so eine leidenschaftliche Performance gesehen! Außerdem groovt sie total. Egal, ob sie in Englisch oder Spanisch singt, sie hat ein traumwandlerisches Rhythmusgefühl und vereint in sich spanische und afrikanische Wurzeln. Wie sich im Verlauf des Konzerts herausstellen sollte, klappte die Kommunikation zwischen der energiegeladenen Sängerin und ihrer Begleitband perfekt, vieles dirigierte sie auf Zuruf, und zwischenzeitlich hatte ich den Eindruck, dass Buika spontan entschied, welches Lied als nächstes gespielt wurde. Die mir leider nicht namentlich bekannten Bandkollegen agierten ungemein dynamisch und virtous. Komplexe Arrangements, Rhythmuswechsel und überraschende Wendungen, ein grandioser Mix aus Reggae, Ragga, R&B, Flamenco und Afrobeat in einem rasanten Trip durch Westafrika, Kuba, Brasilien, USA, Spanien und zurück. Gebannt lauscht frau den Wechseln und was sich die „verrückten“ Musiker alles einfallen lassen. Buika selbst bedankt sich mehrfach, dass die Leute geblieben seien, wohl wissend, dass manche eigentlich wegen Ana Moura gekommen waren, und betont, dass sie „schwierig“ seien. Nach mehreren Zugaben verließ sie mit ihren Bandkollegen die Bühne und wir gingen berauscht nach Hause.
(ms)