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„Die Straße ist eine gute und harte Schule“ – ein Interview mit der Musikerin Cynthia Nickschas

Die 26jährige Cynthia Nickschas ist Straßenmusikerin aus Leidenschaft, heute führt sie ihr Weg immer öfter auch auf große Bühnen. Die aus einer Musikerfamilie stammende Bonnerin sortiert in ihrem Debutalbum die Welt in ihr „Kopfregal“. Ihre kritischen Texte nutzt sie einerseits als persönliche Therapie, andererseits will sie auch die Gesellschaft aufrütteln und zum Nachdenken anregen. Wie Cynthia Nickschas ihren „Rockstar-Traum“ verwirklicht hat und wie das Leben in ihrer Musiker-WG abläuft, erfahrt ihr in unserem Interview!

Wie bist Du auf’s Musikmachen gekommen?
Das ist einfach – Musik war schon immer ein großer Teil meines Lebens. Und als ich vor ein paar Jahren meinen Job verlor, hatte ich das große Glück, dass eine Freundin von mir, die seit Jahren in Köln Straßenmusik macht, mir die besten Plätze dafür gezeigt hat. Als ich ein paar Tage später mit meiner Miete nach Hause kam und auch direkt meine erste Geburtstagsbuchung hatte, war die Sache für mich klar. Ich habe mir ab diesem Zeitpunkt drei Jahre gegeben, um den „Rockstar-Traum“ mal zu versuchen. Und als ich nach drei Jahren dann das erste Mal mit Konstantin Wecker auf der Bühne stand, war der Traum dann irgendwie kein Traum mehr.

Du stammst aus einer Künstlerfamilie. Hat sie dich in irgendeiner Form geprägt? War das Musikmachen eher Motivation oder ein Muss?
Natürlich, geprägt hat sie mich sehr. Mein Vater ist Gitarrenlehrer, meine Mutter Lehrerin für Geige und Klavier. Ein Muss war es aber eigentlich nie. Ich habe lange Zeit Klavier gespielt und hatte Unterricht wenn ich wollte und wenn nicht, dann eben nicht. Die Gitarre habe ich erst mit 18 in die Hand genommen, als ich von zu Hause weg war und damit kein Klavier mehr im Wohnzimmer stand.

Deine Stimme ist sehr facettenreich. Hattest Du schon mal professionellen Gesangsunterricht?
Nein, ich war in diversen Chören, d.h. ein bisschen Stimmbildung habe ich abgekriegt. Professionellen Unterricht jedoch nie. Ich habe viele Vorbilder und es macht mir Spaß mit der Stimme zu spielen, vielleicht ist es wirklich die Freude am Singen, die die Facetten zeigt.

Hast Du Vorbilder oder gibt es KünstlerInnen, die Dich musikalisch besonders beeinflusst haben bzw. noch beeinflussen?
Viele, sehr viele. Nur um ein paar zu nennen: aufgewachsen bin ich mit Jimi Hendrix, Toto, den Eagles, Beatles, Hannes Wader, Konstantin Wecker, Reinhard Mey, aber auch Joint Venture und vielen anderen Liedermachern… Mit 14-15 waren es dann Joss Stone, Melissa Etheridge, Etta James, Alanis Morissette, Sade, ganz früher Christina Aguilera, aber auch Bands wie Korn, Red Hot Chili Peppers, Foo Fighters, Nirvana… Eigentlich so viele, dass ich den ganzen Tag schreiben könnte…

Wie habt Ihr Euch als Band gefunden?
Das waren allesamt super Zufälle (oder Schicksal). Meinen Gitarristen lernte ich auf Festivals kennen, er hat mir damals finanziell aus der Patsche geholfen, da meine Wohnung ausgeraubt wurde während ich unterwegs war. Und dann gab er mir ein wenig Gitarrenunterricht, machte die ersten Wohnzimmeraufnahmen meiner Songs und stand schon wenig später mit mir zusammen auf der Bühne. Ein halbes Jahr später zogen mein Freund und ich dann in Bonn mit ihm zusammen in eine WG. Mein Freund Mario wollte Zeit seines Lebens Schlagzeug spielen und hatte dazu nicht die Chance. Weil mir noch Beat fehlte und er Bock hatte, besorgten wir ihm für den Anfang eine Cajon und ich schleppte ihn direkt am ersten Tag mit auf die Bühne. Seit 18 Monaten spielt er nun auch Schlagzeug und wird täglich genialer. Mein Bassist ist mir auch eher „zugeflogen“ – er zog in die Wohnung neben uns und ließ ständig seinen Schlüssel außen stecken, bis wir irgendwann mal einfach reingingen mit den Worten: „Beim nächsten Mal sind es vielleicht nicht nur die lieben Nachbarn“ – und dann stand da ein Bass in der Ecke… Nach ein paar Mal jammen war für mich klar, dass er dazugehört. Das neueste Bandmitglied Z (Saxophon) haben wir dieses Jahr auf dem Paradiesvogelfest auf Schloss Weitersroda kennengelernt.

Lebst Du immer noch mit Deiner Akustik-Combo zusammen? Wenn ja, wie funktioniert das Zusammenleben, geht ihr euch auch mal auf den Keks?
Ja, wir wohnen immer noch zusammen, mittlerweile sogar mit meiner Mum und drei von meinen Geschwistern in einem großen Haus. Natürlich geht man sich in einer so großen WG mal auf die Nerven, aber im Großen und Ganzen funktioniert das super.

Schreibst Du die Texte und Musik allein oder erarbeitet ihr die Songs gemeinsam als Band?
Die Texte und meine Gitarre schreibe ich meistens für mich. Aber sobald es in den Proberaum geht, lasse ich mich auch von den Ideen meiner Jungs inspirieren – und so werden die Songs geformt und entwickeln sich eine Weile bevor sie „fertig“ sind.

Wie lange brauchst Du/braucht ihr um einen Songtext zu schreiben?
Oh, das variiert. Manchmal fünf Minuten, manchmal brauche ich ein paar Tage und manchmal auch Wochen bis ich zufrieden bin.

Wann hast Du angefangen eigene Texte zu schreiben?
Das ging gleichzeitig mit dem Gitarre Lernen los, also mit 18 Jahren. Mit den ersten paar Griffen flogen auch die ersten Wörter. An Gedichten und Kurzgeschichten habe ich mich schon früher versucht, jedoch nie wirklich jemandem gezeigt.

Geht Deine Taktik auf, das Schreiben als Therapie zu betreiben?
Das ist ja nicht unbedingt eine Taktik. Ich habe herausgefunden, dass ich Songs schreibe wenn ich gerade etwas verarbeite oder verarbeitet habe. Und, dass es mir hilft, gewisse Songs in gewissen Situationen zu singen, weil ich mich damit manchmal selbst daran erinnere z.B. ein wenig positiver zu denken, die „Scheiße mit Humor zu nehmen auch wenn sie stinkt“. Ich bediene mich mal der Worte meines Plattenpapas Konstantin: Meistens sind meine Texte schlauer als ich selbst. Und da ich nicht wirklich weiß, woher meine Texte kommen (ich habe immer erst die Musik und dann „fliegt mir zu“ was dazu passt), sehe ich meine Musik als persönliche Therapie. Vielleicht geht es auch um Bestätigung; es tut mir unglaublich gut, auf der Bühne zu stehen und zu merken, wie viele Menschen doch genauso denken wie ich – oder ähnlich.

Deine Texte sind sehr gesellschaftskritisch. Denkst Du, dass Du die Menschen mit Deiner Musik dazu animieren kannst, aktiv zu werden und ist das Deine Intention?
Aktiv zu werden… Ja, im Kleinen. Ich hoffe, dass die Texte ein wenig zum Nachdenken anregen. Was macht wirklich glücklich? Was bringt einen weiter? Was ist menschlich und was wird nur als „menschlich“ bezeichnet? Ist bedingungslose Liebe Utopie oder die Lösung einiger unserer Probleme? Wer ordnet unsere Gedanken? Wir selbst? Unter welchem Einfluss? Ich würde mir wünschen, dass sich ein wenig ändert in unserer Gesellschaft und dass wir uns vielleicht darauf besinnen, wer wir wirklich sind: Kleine, unbedeutende Geschöpfe, die das große Glück haben auf einem so wunderschönen Planeten leben zu dürfen. Uns ständig nur zu bekämpfen und diese schöne Welt damit zu zerstören kann nicht wirklich der Sinn des Lebens sein…

Warum ist Dein Album in deutscher Sprache verfasst?
Ich habe anfangs auf Englisch geschrieben weil es mir leichter fiel. Aber die deutsche Sprache ist um einiges vielseitiger, mit kleinen Grammatikdrehern kann man einem Satz direkt einen anderen Sinn verleihen, oder nur mit Kommasetzung kleine Gedankenanrisse zeigen – kleines Beispiel: Geld Macht Glücklich! Geld, Macht, Glücklich. Ich mag die deutsche Sprache und seitdem ich mich wirklich in ihr zurechtfinde, genieße ich das Spiel mit unserem Wortschatz. Und klar, es ist meine Muttersprache…

Wie kam es zum Titel Deines Albums „Kopfregal“?
Der Titel steht fest seitdem ich den Song „Positiv Denken“ geschrieben habe, in dem ich mir vorstelle oder davon träume, in meinem eigenen Kopf zu stehen und meinen Haufen Gedankensalat in Regale zu ordnen und auszusortieren, welches Problem wirklich meines ist und was ich ändern kann und was nicht.

In welches Genre würdest Du Deine Musik einordnen?
In keines wirklich. Ich glaube ich bin mit der Bezeichnung „Liedermacher“ zufrieden. Ich mache Lieder und kümmere mich nicht wirklich darum, irgendeinem Stil zu folgen. Genre: „was mir Spaß macht“.

Cynthia Nickschas mit Konstantin Wecker (Foto: Christian Kramberg)

Dein Album wurde auf Konstantin Weckers Label „Sturm & Klang“ veröffentlicht. War er ein Mentor/musikalischer Einfluss für dich?
Zu einem Mentor wird er mir, je mehr ich ihn kennenlerne. Ich lese…nein…ich fresse seine Bücher und seine Texte und seine Musik haben mich schon früh begleitet – mit 13 habe ich eine Kassette „Weckerleuchten“ bei meiner Tante mitgehen lassen, weil sie sie mir nicht schenken wollte. Konstantin ist alles: Freund, Vorbild, Mentor, Ratgeber, Glückvertreter… Ein toller Mensch!

Du wirst oft mit Janis Joplin verglichen. Nervt oder ehrt Dich dieser Vergleich?
Beides. Lustig ist, dass ich gar nicht so viel Janis Joplin gehört habe wie viele Leute denken. Ich kenne vieles, habe aber auch noch nie einen Song von ihr gecovert oder mich wirklich damit beschäftigt. Natürlich ehrt es auf einer Seite mit einer solch genialen Stimme verglichen zu werden, darauf reduziert zu werden gefällt mir jedoch nicht.

 Wir haben gelesen, dass Du trotz Deiner diversen Konzerte immer noch Straßenmusik machst. Warum?
Naja, zum einen weil’s Spaß macht und zum anderen weil ich durch die Gigs, auch wenn die Anzahl steigt, noch lange nicht genug verdiene, um alle meine Rechnungen und mein Leben zu zahlen.

Wir können uns vorstellen, dass der Schritt von der Straße auf die professionelle Bühne ein großer ist. Wie erlebst Du diese zwei Welten und gibt es Unterschiede in den Reaktionen des Publikums?
Es ist weniger ein Schritt als ein Weg. Und da sich das „mit den Profis spielen“ langsam eingeschlichen hat und ich vom ersten Tag Straßenmusik-Machen auch direkt schon die ersten Buchungen für Konzerte bekommen habe, waren Bühnen immer schon ein Teil des „Prozesses“. Natürlich gibt es da einige Unterschiede was das Publikum angeht. Straßenpublikum muss man sich „erspielen“ und vor einer Bühne stehen Menschen, die schon etwas erwarten oder sogar schon Songs kennen. Auf der Straße kann ich die Wirkung der einzelnen Songs testen, die Straße schult das Selbstbewusstsein und man muss Mut beweisen, z.B. weiterzuspielen, wenn man grade von ein paar Halbstarken mit Müll beschmissen wurde und sie einen lauthals als Bettler und Junkie bezeichnet haben. Die Straße ist eine gute und harte Schule, auf Bühnen muss man weniger über den eigenen Schatten springen.

Könnt Ihr als Band von der Musik leben?
Nein, nicht alle. Doc, mein Gitarrist und mein Bassist Chris haben beide noch „reguläre Jobs“. Der Saxophonist ist selbständig und spielt daher auch nur an Wochenenden mit. Mein Freund und Drummer Mario und ich leben von den Einnahmen durch die Musik. Aber wir arbeiten dran und die Zeiten werden noch kommen, dass wir alle davon leben können.

Würdest Du jungen Musikerinnen empfehlen, Deinen Weg einzuschlagen?
Definitiv ja. Es lohnt sich schon allein der vielen Erfahrungen wegen und man lernt unglaublich viele, liebe Menschen kennen, die einen auf dem Weg unterstützen, sobald sie merken, dass man es wirklich ernst meint. Probieren geht über Studieren. Und einen Traum nicht zu versuchen ist in diesem, unserem einzigen Leben (in der Form) mehr doof als schlau.

Welche Pläne hast Du für die Zukunft?
Ich plane selten, ich lasse das Leben gerne spielen. Immer weiter über das Leben lernen und weiterhin glücklich sein wär was – aber ob das planbar ist?!?

Ihr aktuelles Album: „Kopfregal“ (2014), Label: Sturm & Klang

www.cynthiaandfriends.de