Meine ersten weiblichen Vorbilder hatte ich mit ca. 14 Jahren. Es hing damit zusammen, dass ich gemeinsam mit meiner Freundin Monique bei einem Musikstudenten Gitarrenunterricht nahm und wir bei ihm Folksongs lernten, die wir dann im Duo nachspielten. Das waren Songs von James Taylor oder Jim Croce, Singer-/Songwriter, die vor allem in den 70ern bekannt waren. Ich selbst bin Jahrgang `67 und hab diese Zeit nicht direkt miterlebt, war aber sehr fasziniert davon. Filigranes Gitarrenspiel, schöne Stimmen und tolles Songwriting, das war wohl die Kombination, die mich ansprach und die ich konkret auch selbst umsetzen wollte.
… CAROLE KING & CO. ……………………………………..
In dieser Zeit hab ich JANIS JOPLIN, CAROLE KING und CARLY SIMON lieben gelernt, die ich zu meinen ersten weiblichen Vorbildern zählen würde. Irgendwie umwehte diese amerikanischen Musikerinnen ein aufregendes Lüftchen. Ich hatte selbst als Kind mit 5 Jahren ein Jahr in den USA gelebt und noch tolle Kindheitserinnerungen an diese Zeit. Meine Freundin war Halbamerikanerin und hatte mit ihrer deutschen Mutter die ersten sieben Jahre in den USA verbracht. Mit ihrer „coolen“ Mutter, die für mich damals der Inbegriff der Hippiemutter war (die aber tatsächlich gar nicht „wild“ lebte), hörten wir nächtelang Platten, tranken Tee, rauchten die ersten Zigaretten und schwätzten über Gott und die Welt. Ein echtes Kontrastprogramm zu meinen Eltern, die ich furchtbar spießig fand und die natürlich ganz andere Musik hörten als ich.
Carly Simon und Carole King sangen und spielten vor allem Klavier, was vielleicht der Grund ist, dass ich ihre Songs nie selbst nachzuspielen versuchte, sondern immer nur zu den Platten sang. Ich glaube, an Carole King hat mich am meisten ihre Authentizität fasziniert, dass da jemand über sich selbst sang und sich scheinbar so gab, wie sie war, nicht vorgab, ein Star zu sein! Das merkte man auch an ihrem Gesang. Die Songs waren ungeheuer dynamisch, gaben ordentlich Gas, waren sehr soulig und leidenschaftlich. „I Feel The Earth Move“, „You’ve Got A Friend“ oder “Natural Woman” waren Songs, bei denen ich mich auch selbst austoben konnte, wenn ich mitsang, die irgendwie stark machten, in einer Zeit, in der ich viel Melancholie und Unsicherheit verspürte.
… ANNIE LENNOX ……………………………………..
Mein Hauptvorbild, das mich als Sängerin inspiriert hat, war ANNIE LENNOX von The Eurythmics, die in den 80er Jahren bekannt wurden und Hits wie „Here Comes The Rain Again“, „Sisters Are Doing It For Themselves“ oder „Sweet Dreams“ schrieben, die man heute noch manchmal im Radio hört. Auch bei ihr war es die kraftvolle und sehr soulige Stimme, die mich faszinierte und dass sie so viele Gefühle in ihrem Gesang ausdrücken konnte, vielleicht aber auch ihre auffällige Erscheinung. Sie trug ihre Haare hellblond oder karottenrot gefärbt und kurz, selbst für die 80er gewagte Outfits und Männerkleidung, spielte mit Gender-Rollen. Ich weiß noch, wie ich sie das erste und einzige Mal live in der Frankfurter Festhalle erlebte und heulen musste – vor Glück, weil ich sie endlich leibhaftig vor mir sah, und vor Wut, weil ich in der Menge fast nichts sehen konnte.
Irgendwann hab ich sie dann mal bei einem Liveauftritt im Fernsehen gesehen, wahrscheinlich auf MTV, da trug sie eine Lederhose und einen roten BH. Ich weiß noch, dass ich ziemlich irritiert war und ein bisschen enttäuscht, weil ich dachte, dass sie das eigentlich nicht nötig gehabt hätte, sich so zu präsentieren – als reiche ihre Stimme allein nicht aus.
… SUZANNE VEGA ……………………………………..
Mitte der 80er Jahre kam dann noch SUZANNE VEGA als Vorbild dazu, die mit „Tom’s Diner“ und „Luka“ ihre größten Erfolge hatte (übrigens war „Tom’s Diner“, wie man heute nachlesen kann, das weltweit erste Lied, das im mp3-Format herauskam!). Sie hatte eine sehr softe Stimme, war eine eher zarte und introvertierte Erscheinung. Sie gehört definitiv zu den ersten Frauen, die ich auch als Gitarristin wahrnahm (mal von der Rockmusikerin Gianna Nannini abgesehen, deren Musik ich nicht leiden konnte), was meiner eigenen Musikpraxis nahe kam. Heute wird ihr und Singer-/Songwriterinnen wie Tracey Chapman bescheinigt, dass sie verstärkt „feministische Impulse in die Rockmusik“ brachten. Nicht, dass sie tatsächlich eine Rockmusikerin gewesen wäre! Ihre Musik war wohl eher dem Folk oder Pop zuzuordnen; nichtsdestotrotz war sie als Solomusikerin enorm erfolgreich und bewies, dass man auch als zarte Folkelfe die Massen begeistern und viel Geld verdienen konnte.
… STING, TON STEINE SCHERBEN, TORI AMOS & CO. ……………………………………..
Später kamen noch weitere Singer-/SongwriterInnen dazu, die mich inspirierten, im Großen und Ganzen war der Einfluss von männlichen Vorbildern jedoch genauso wichtig. Mein personal favourite war STING, aber auch Joe Jackson, Billy Joel, David Bowie, Paul Simon, The Police, Genesis, Ton Steine Scherben, Ideal, Element Of Crime u.v.m. haben mich inspiriert. Letztlich war mir egal, ob ich Songs einer männlichen oder weiblichen KünstlerIn nachsang. Singer-/Songwriterinnen wie TORI AMOS und FIONA APPLE verehrte ich zu Beginn glühend, aber je extrovertierter und exzentrischer sie wurden und je mehr sie ihr Seelenleben auf der Bühne entblößten, desto weniger wollte ich mich mit ihnen identifizieren.
Die Gitarre hängte ich nach einigen Jahren an den Nagel, weil mich das Gitarrespielen beim Singen „störte“ (!); ich wollte mich ganz auf das Singen und Improvisieren konzentrieren und suchte mir BegleitmusikerInnen. Wer weiß, vielleicht hätte ich weitergemacht, wenn ich mehr weibliche Vorbilder am Instrument gehabt hätte. Für mich war es einfach „sicherer“, dass ich mich nur noch als Sängerin betätigte, denn ich hatte ohnehin kein allzu großes Selbstbewusstsein; kritische Äußerungen über mein Gitarrenspiel hätten wahrscheinlich dazu geführt, dass ich sofort wieder damit aufgehört hätte. Im Nachhinein glaube ich, dass ich lange dachte, ich müsse schon perfekt sein, wenn ich auf die Bühne gehe – eine Entwicklung hab ich mir nicht wirklich zugebilligt. Wenn es nicht gut genug war, wollte ich lieber gleich ganz aufhören.
Es brauchte auch einige Jahre, bis ich als Sängerin und Frontfrau von Bands eine selbstbewusste Rolle einnehmen konnte. Letztlich hatte ich lange Jahre nicht das Gefühl, so sein zu dürfen, mich geben zu dürfen, wie ich bin. Anfangs wurde mir noch gesagt, wie ich mich anziehen oder singen soll, dass ich gefälligst alle Ansagen zu machen habe, die auch noch alle wahlweise tiefschürfend oder witzig sein und das Publikum unterhalten sollten (wo lernt man das?), und die Songs klangen häufig anders, als ich es wollte. Trotzdem sollte ich aber ein glaubwürdiges Aushängeschild für die Band sein! Wahrlich, Frontfrau oder –mann zu sein, ist nicht so leicht, wie es aussieht!
Mit den Jahren wurde mir das Songschreiben so lieb und zur fast lebensnotwendigen Leidenschaft, dass ich am Ball blieb und immer mehr lernte, meine Vorstellungen zu kommunizieren. Ich suchte mir nach und nach eine Band („Under 10 Moons“) zusammen, mit der ich zwei CD’s veröffentlichte. Dann kam meine Solozeit, wo ich mit „Mietmusikern“ zwei Songs aufnahm, und eine A Cappella Phase, in der ich mich auf meine heißgeliebten mehrstimmigen Gesänge fokussierte. Seit einigen Jahren bin ich ganz zu meinen „Wurzeln“ zurückgekehrt, mache im Duo mit einem Gitarristen Musik und singe nicht nur, sondern spiele zunehmend selbst Gitarre und seit neustem sogar E-Gitarre (hier könnt Ihr in meine Musik reinhören).
Wenn ich damals mit heute vergleiche, stelle ich fest, dass ich mich in meiner Jugendzeit eigentlich gar nicht so einfach über „meine“ Stars informieren konnte. Es gab Artikel über die angesagten Mainstream-Bands in der „Bravo“. Meine Idole waren in der Regel nicht darin zu finden. Also blieb mir nichts anderes übrig, als das Booklet der Platte in den Händen zu halten, andächtig der Musik zu lauschen und die Texte zu lesen und auswendig zu lernen. Später kam dann mit MTV erstmals die Möglichkeit, die Idole in Videos auch optisch zu erleben und von den ModeratorInnen Halbwissen über die Stars zu erfahren. Die KünstlerInnen waren eher abgehoben und nicht so greifbar wie heute, gleichzeitig hatten wir selbst weniger Möglichkeiten, mit der Musik bekannt zu werden. Es blieb einem nur, Demos zu den großen Plattenfirmen zu schicken und bei den Clubs Klinken zu putzen, um möglichst viel live zu spielen und sich eine Fanbase zu schaffen. Kommunikationsmöglichkeiten via Mail oder Internet gab es ja noch nicht. Ich weiß gar nicht mehr so genau, wie ich unsere „Fans“ eingeladen habe! Wohl in der Kneipe mit Mund-zu-Mund-Propaganda und selbst kopierten Flyern…
Wenn ich heute ein Fan von Carole King wäre, könnte ich im Internet nachlesen, dass sie zu den Begründerinnen des Singer-/Songwriter-Genres gezählt wird und sich stark für die Bürgerrechtsbewegung einsetzte. Ihren 60. Geburtstag feierte sie auf Kuba – zusammen mit Fidel Castro –, um so ein Zeichen für eine Politik der Aussöhnung zu setzen. Das macht sie mir noch sympathischer als damals!
James Taylor ist in einem Nachbarort der Kleinstadt aufgewachsen, in der ich damals in Amerika gelebt habe, wenn auch einige Jahrzehnte früher. In jungen Jahren soll er laut Wikipedia an Neurosen und Depressionen gelitten haben und war zeitweise drogensüchtig, was ja auch auf Janis Joplin zutrifft, die in den 70ern vielleicht grade wegen ihres frühen Drogentodes zur Ikone wurde. Er überwand seine Sucht jedoch, engagierte sich sozial und politisch und ist bis heute musikalisch aktiv.
Annie Lennox ist seit Jahren Botschafterin der Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam und steckt viel Energie in den Kampf gegen HIV/Aids, vor allem in Südafrika. So gesehen sind sie auch aus heutiger Sicht und nicht nur musikalisch das, für was ich sie schon damals gehalten habe: gute Vorbilder.
(ms)