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Message in a video: Clips des Monats

Eine kleine Auswahl der neusten Videos von schrillem Indiepunkrock aus Seattle über coolem Electropop aus Los Angeles bis hin zu eindringlichem Soulfolk aus Irland…

Tacocat: „Crystal Ball“

Das Indie-Punkrock Quartett Tacocat aus Seattle ist bekannt für die in Songs verarbeiteten feministischen Themen, verpackt mit Humor und Sarkasmus. Bestes Beispiel hierfür ist der Song „Crimson Wave“, dessen Video voll von Metaphern der Menstruation ist und mit einer halben Million Views auf Youtube das bisher erfolgreichste Video der aus drei Frauen und einem Mann bestehenden Band ist. Das neue Album des seit 2007 existierenden Quartetts erschien bereits im Mai diesen Jahres.

Das Video der aktuellen Singe „Crystal Ball“ ist wie immer bei Tacocat bunt, schrill und einzigartig. Diesmal sind die Musiker*innen nicht selbst zu sehen, sondern treten als Knetfiguren in Erscheinung, das ganze Video ist im Claymationstil animiert. Zu Beginn sieht man eine Frau aus der Vogelperspektive baden. Als sich die Perspektive ändert, erkennt man, dass sie im Kopf einer Frau badet. Wieder ändert sich die Perspektive und nun ist der Kopf wie eine Art Puppenhaus unterteilt, in dem die Bandmitglieder, natürlich auch als Knetfiguren, zu sehen sind. Immer wieder sieht man die einzelnen Ebenen dieses „Puppenhauses“ in der Nahaufnahme und dazwischen spielen die Bandmitglieder als Knetfiguren, umgeben von Leuchtsternen auf ihren Instrumenten. Im Refrain sind sie in einer Kristallkugel zu sehen, umgeben von echten Kerzen und Kristallen. Beim zweiten Refrain lassen sich die Bandmitglieder Karten legen und beim letzten Refrain aus dem Tee lesen, also auf verschiedene Arten die Zukunft voraussagen. In fast jeder Szene sieht man Katzen, die ja schon im Namen der Band vorkommen. Generell ist das Video sehr mystisch und auch der Text wirkt ähnlich schrill wie das Video. Der Refrain ändert sich jedes mal ein bisschen.

„What a time/ To be living a lie / I saw you in a crystal ball /And you were upside down / Reality is round / Leave it better than you found / Reality is round,“

heißt es beim ersten Mal, während sich beim zweiten Refrain die dritte Zeile ändert zu „I saw you in the bottom of a cup“ und beim letzten mal heißt es: „I saw you in a deck of cards“. Die textlichen Unterschiede werden also im Video dargestellt. Thematisch handeln der Song und der etwas verwirrende Text von einer alternativen Realität, in der die Bandmitglieder nach den Wahlen 2016 aufwachen. Sie befinden sich in einer Welt, in der das Böse nicht mehr nur unter der Oberfläche existiert und in der es jeden Tag neue Angriffe auf die Bürgerrechte gibt. Die Band stellt die Frage, wie man weiterkämpfen soll, wenn man doch am liebsten den ganzen Tag im Bett liegen möchte. Die Kritik richtet sich ganz deutlich gegen die Wahlergebnisse der USA 2016 und auch sonst ist das neue Album der Band sehr politisch, jedoch auf eine subtile Weise, bei der den Zuhörer*innen Platz für Selbstbeobachtung bleibt. (lw)

 

MUNA: „Taken“

Wer kennt das nicht: Man ist verliebt, aber die Person ist schon vergeben. Davon handelt der neue Song „Taken“ der amerikanischen Band MUNA. Das Trio erzählt in diesem Song aber von noch viel mehr. Es geht um die Ähnlichkeit zwischen dem eigenen Vater und der angehimmelten Person.

Die Band besteht aus Katie Gavin, Josette Maskin und Naomi McPherson und beschreibt sich als queere Girl Band. Seit 2013 machen sie zusammen elektronische Popmusik und haben 2017 ihr Debütalbum rausgebracht. In ihren Songs sprechen sie unter anderem von Identität und Sexualität und wollen somit Jüngere unterstützen, die sich selbst noch nicht so sicher in ihrer Identität sind.

Der Song „Taken“ handelt zwar nicht direkt davon, aber beschreibt auch einen inneren Konflikt ihres Lebens. Zu Beginn wirkt er wie eine gewöhnliche beidseitige Liebesgeschichte bis schließlich der Pre-Chorus fragt „So why do I wanna blow up your life?“. Im Video sieht man, dass das Trio ein (Hotel-)Zimmer komplett neu dekoriert und die Stimmung wirkt harmonisch. Im Refrain wird dann klar, dass die geliebte Person bereits eine Freundin hat: „I know you said you had a girlfriend, I just want it if it’s taken“, wodurch die Problematik der Beziehung bereits ansatzweise beschrieben wird. Hier laufen die drei mit ihren Instrumenten in einer wüstenartigen Landschaft herum und singen in die Kamera.

Die zweite Strophe wird noch tiefgründiger und deckt auf, dass der eigene Vater früher auch untreu gegenüber seiner Frau war, weshalb nun die eigene Liebe durch diesen Vergleich eher in Hass übergeht. Im Video sieht man die Sängerin nachts im Bett an ihrem Handy liegen, während ein zweites Handy aufleuchtet und man Schatten von außerhalb des Zimmers sieht – eventuell ein Streit der Eltern (?): „And I can’t help thinking, I hate you ’cause you’re just like him“, gefolgt von „So why did I have to blow up your life?“ nun in Vergangenheitsform. Gleichzeitig sieht man das Trio, wie es das Hotelzimmer wieder verlässt. Ab hier sind die drei hauptsächlich in einem offensichtlich nachgebauten Hotelzimmer in der Wüste – wieder mit ihren Instrumenten.

In der Bridge wird schließlich klar, dass auch das eigene Selbstwertgefühl bei dieser Liebe eine Rolle gespielt hat: „I just thought that if I could take you from her /  maybe then it would prove that I’m worth something“. Möglicherweise ist dies bezogen darauf, dass ihr Vater sie als Kind durch sein Fremdgehen vernachlässigt hat. Mit „Wishing I’d taken you at your word / when you said that you were taken“ wird deutlich, dass sie es bereut, nun selbst ein Leben zerstört und ein Fremdgehen bewirkt zu haben. Ab dem Moment zerstören die drei ihre Instrumente im nachgebauten Hotelzimmer, bis sie schließlich mit demselben Auto aus der Wüstenlandschaft wegfahren, mit dem sie zu Beginn des Videos zum Hotel gefahren sind. (jd)

 

Wallis Bird: „As The River Flows“

Schon in wenigen Tagen veröffentlicht die irische Musikerin Wallis Bird ihr neues Album „Woman“ (VÖ: 27.09.2019, Mount Silver Records) und es kommt genau zur rechten Zeit. Drückt es doch das aus, was in diesen Tagen wohl viele Menschen denken und fühlen: eine tiefe Trauer, Resignation und Wut angesichts der erstarkenden populistischen Kräfte auf der Welt auf der einen Seite, aber auch eine mächtige Energie, die durch Engagement und Gemeinschaft (vor allem von Frauen) entsteht. „In den letzten Jahren wurde ich, wurden wir alle, permanent mit schrecklichen Nachrichten befeuert“, erzählt Wallis. „Überall Ungerechtigkeit, Konflikte, die wieder aufbrechen, Rechte, die immer lauter pöbeln und ein Maß an Umweltverschmutzung und fehlendem Respekt vor unserem Planeten, der mich schwindelig und wütend macht. Ich musste mich einfach damit auseinandersetzen. Wenn ich mich schon auf die Bühne stelle und etwas singe, dann sollte es etwas sein, das sich dieser Probleme bewusst ist und vielleicht sogar etwas anbietet, das uns weiterhilft. “

Nachdem der Vorgänger „Home“ eher introvertiert klang, zeigt sie sich darauf nun wieder mehr von ihrer Powerseite, die mitreißt und einen Funken für Veränderung legt. „… es ist eine Zeit der Bewegungen. Wenn man sich von dem negativen Blick löst, sieht man, dass jede unerfreuliche Entwicklung, viele bunte, diverse leidenschaftliche Movements hervorbringt, die sich dem entgegenstellen.“ Mit diesen Gefühlen und Gedanken im Kopf zog sie sich mit dem Produzenten Marcus Wuest, der schon die letzten fünf Alben begleitete, ins Studio zurück und spielte fast alle Instrumente selbst ein. Das Ergebnis sind in wunderschön-smoothe Musik gepackte Hippie-Botschaften („Love, Respect And Peace“, „Woman oh Woman!“, „That’s What Life Is For“) – und was gäbe es da Passenderes als den Soul, um die Worte in Musik zu kleiden? Wallis Bird ist mit Soulsongs aufgewachsen, hat sie jetzt für sich als Kraftquelle wiederentdeckt.

Ihren Song „As The River Flows“ hat sie mit einfachen Mitteln in Szene gesetzt. Im Lied erinnert sie uns mit warmer Stimme daran, dass wir alle uns das Leben, in das wir von Geburt an geworfen werden, nicht aussuchen können. Dass alle Menschen das Recht haben, auf der Suche nach Sicherheit Meere zu überqueren und über Land zu fliehen: „What are you scared of / aren’t you brave enough / to pave a basic decency for human kind? / a baby lost it’s family, lost it’s life / don’t turn your – don’t turn your face away!“ Nach dem introvertierten Einstieg entsteht im Chorus eine vielstimmige Energie, die sich immer mehr steigert. Man hört die Verzweiflung in ihrer Stimme, aber auch, wie sie Ermutigung an all die Geflüchteten in die Welt richtet, die eine Flucht trotz großer Gefahr versuchen, verbunden mit einem Appell an uns alle, nicht wegzusehen. Sie hat den Song übrigens Aylan Kurdi gewidmet, dem zweijährigen Jungen aus Syrien, dessen Bild um die Welt ging, wie er ertrunken an der türkischen Mittelmeerküste liegt – die weltweite Erschütterung darüber hat dennoch nicht verhindert, dass heute die Seenotrettung kriminalisiert wird und Geflüchtete immer noch im Meer ertrinken müssen.

Andere Songs auf ihrer neuen Platte feiern, was der Titel verspricht: eine feminine Kraft, die Menschlichkeit, die Vielfalt und den Zusammenhalt, ohne ausgrenzen zu wollen. „Es ist kein Album gegen Männer, es ist ein Album, das den matriarchalen Vibe in der Gesellschaft feiert, das einladen soll, Geschlechtergrenzen aufzulösen und zu verwischen.“ (ms)

Wallis Bird ist für ihre großartigen Livekonzerte bekannt – ihr solltet euch also ihre Oktober-Tour nicht entgehen lassen:

07.10.2019 Jena/Volksbad | 08.10.2019 Hannover/Pavillon | 10.10.2019 Berlin/Kammermusiksaal der Philharmonie | 11.10.2019 Leipzig/Felsenkeller | 12.10.2019 Rostock/Volkstheater | 13.10.2019 Dresden/Beatpol | 16.10.2019 Bremen/Tower | 17.10.2019 Hamburg/Laeiszhalle | 18.10.2019 Bochum/Christuskirche u.a.